- katholische Kirche im Zeitalter von Revolution und Säkularisation
- katholische Kirche im Zeitalter von Revolution und SäkularisationDie Französische Revolution und die folgenden napoleonischen Kriege von 1796 bis 1815 veränderten nicht nur die politische Gestalt Europas, sie markierten auch für die Kirche einen deutlichen Einschnitt. Dabei traten in der Anfangsphase der Revolution von 1789 zunächst durchaus keine antichristlichen oder antikirchlichen Züge zutage; noch den Sturm auf die Bastille feierte man mit heiligen Messen. Allerdings rekrutierte sich der französische Episkopat im Gegensatz zum niederen Klerus überwiegend aus dem Hochadel, eine ähnliche Situation, wie sie auch in der deutschen Reichskirche gegeben war, deren Fürstbistümer und Domkapitel als Versorgungseinrichtungen für den Adel fungierten. So verwundert es wenig, dass der bürgerliche Teil des französischen Klerus sich anfangs mit den Idealen der Revolution identifizierte, sich mit dem zur Nation erklärten dritten Stand solidarisierte und sogar von sich aus auf seine sozialen und wirtschaftlichen Privilegien verzichtete. Von der Durchsetzung der Revolutionsideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erhoffte man die Überwindung der gesellschaftlichen, vor allem aber wirtschaftlichen Unterschiede gerade auch in den eigenen Reihen. So etablierten sich politisch-theologische Richtungen, die auch innerkirchlich mehr Demokratisierung, Freiheitsrechte und eine stärkere Beteiligung und Mitsprache einforderten.Diese konnte erst mit der Zivilkonstitution des Klerus im Jahre 1790 durchgesetzt werden. Bereits zuvor hatte eine Initiative von Charles Maurice de Talleyrand, dem damaligen Bischof von Autun, zur Verstaatlichung der Kirchengüter geführt, mit der die finanziell desolate Lage Frankreichs saniert und die Kirche in den französischen Staat integriert werden sollten. Für die Aufhebung des Pfründensystems, der Steuerfreiheit und der nichtkaritativen Orden hatte der Staat im Gegenzug die Besoldung der Geistlichen zu übernehmen und die Kosten für Armenpflege und den Kultus zu tragen. Die pastoral längst überfällige Erneuerung der Diözesan- und Pfarrstruktur wurde durchgesetzt, Mönche und Nonnen zur Aufkündigung ihrer Gelübde aufgefordert und die Zivilehe eingeführt. Die Demokratisierung in Gestalt einer Wahl der Gemeindepfarrer und Bischöfe durch regionale Gremien und die damit einhergehende Einschränkung der päpstlichen Rechte brachte dann aber endgültig den Bruch mit Rom, das bisher - wegen seiner Territorialinteressen in Frankreich - Zurückhaltung geübt hatte.Die französische Kirche spaltete sich, als nahezu die Hälfte des Klerus den Eid auf die neue Verfassung der Nationalversammlung verweigerte. In der Zeit der Radikalisierung unter den Jakobinern genügte bereits die Anzeige einer Anzahl von Bürgern zur Deportation eines Verfassungsgegners. Hunderte von ihnen wurden gefangen genommen und 1792 in den »Septembermorden« getötet; 30 000 bis 40 000 Geistliche mussten ins Ausland emigrieren. Zum ersten Mal in der Geschichte des Christentums wandte sich ein Staat nicht nur gegen die Kirche als Institution, sondern gegen jede Form christlicher Religionsausübung. Ein Jahr später erreichte die »Schreckensherrschaft« ihren Höhepunkt: Ein säkularer »Kult der Vernunft« wurde eingeführt, Massenhinrichtungen von Geistlichen waren an der Tagesordnung, und die christliche Zeitrechnung mit ihrer Jahreszählung ab Christi Geburt und ihrem Sieben-Tage-Schema wurde abgeschafft. Auch wenn diese kompromisslose, dem Christentum feindliche Haltung bereits 1794 einer Liberalisierung Platz machte, so hatte sie doch die traditionellen organisatorischen Strukturen der französischen Kirche weitgehend zerstört.Der Aufstieg Napoleon Bonapartes nach den Wirren der Revolution trug dazu bei, die Ideale der Revolution zu stabilisieren und zu verbreiten. Der selbst ernannte Konsul auf Lebenszeit stellte im Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803 alle Konfessionen gleich und ließ die Gebietsverluste, die sich für die deutschen Fürsten aus der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich ergeben hatten, durch die Säkularisation aller geistlicher Territorien ausgleichen; damit entzog er der Kirche in Deutschland die materielle Grundlage; ihre Bischöfe waren nun politisch handlungsunfähig. Die Aufhebung von 18 katholischen Universitäten gefährdete die Ausbildung der Geistlichen. Durch die Angliederung katholischer Landstriche an protestantische Staaten fanden sich schließlich viele Katholiken in einer gesellschaftlichen Aussenseiterposition wieder. Die enormen territorialen Veränderungen und die wechselseitige Durchdringung der ehemals konfessionell getrennten Gebiete brachten die verfeindeten Glaubensbrüder erstmals einander näher und förderten damit das bessere Verständnis unter der Konfessionen.Der durch die Französische Revolution eingeleitete Abbau christlicher Institutionen blieb nicht auf Frankreich beschränkt; er wurde in den napoleonischen Kriegen nach und nach auf französisch besetzte Gebiete wie das Rheinland, Belgien, die Schweiz und Teile Italiens ausgedehnt. Die Revolution brach die traditionell enge Beziehung von Kirche und Staat in weiten Teilen Europas auf; die Ausschaltung des Klerus ließ schließlich die Laien in der Kirche erstarken.Als Napoleon nach Abschluss des Konkordats mit Papst Pius VII. aus pragmatischen Erwägungen eine Wiederbelebung des Christentums versuchte, ließ sich der Papst 1804 sogar dazu verleiten, an seiner Kaiserkrönung teilzunehmen. Diese Phase der vorsichtigen Annäherung zerbrach jedoch schon bald an der Ernennung von Kardinälen durch Napoleon und an der Frage des Beitritts des Papstes zur antienglischen Liga. Als Pius VII. sich beidem verweigerte, besetzte Napoleon1808 kurzerhand den Kirchenstaat. Er erklärte die Karolingische Schenkung, auf die der Kirchenstaat seine Legitimität zurückführte, für aufgehoben und bot dem Papst ein festes Einkommen und eine Residenz in Paris an. Der Papst antwortete mit der Exkommunikation und der Weigerung, die vom Kaiser ernannten Bischöfe in ihrem Amt zu bestätigen. Trotz Isolation des Papstes in Savona und später in Fontainebleau scheiterten Napoleons Wunsch nach Aufhebung seiner ersten Ehe und das von ihm 1811 nach Paris einberufene Nationalkonzil am Widerstand der Bischöfe und Kardinäle. Als der Papst dann drei Jahre später nach Rom zurückkehren konnte und es ihm noch einmal gelang, den Kirchenstaat im alten Umfang wiederherzustellen, hatte er Mühe, die Spuren der napoleonischen Ära zu beseitigen. So blieb es der Zeit der Restauration vorbehalten, die desolate Situation der Kirche entscheidend zu verbessern.Dr. Ulrich RudnickDülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit, Band 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.—18. Jahrhundert. München 1994.Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Neuausgabe Graz u. a. 1995.Geschichte des Christentums, Band 3:Krumwiede, Hans-Walter: Neuzeit. 17.—20. Jahrhundert. Stuttgart u. a. 21987.Grane, Leif: Die Kirche im 19. Jahrhundert. Europäische Perspektiven. Aus dem Dänischen. Göttingen 1987.Moeller, Bernd: Geschichte des Christentums in Grundzügen. Göttingen 61996.Zippelius, Reinhold: Staat und Kirche. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart. München 1997.
Universal-Lexikon. 2012.